Schankraum

"Kuron...hm...ein Fischmensch sollte hier nicht schwer zu finden sein...kannst du mir trotzdem kurz sagen, wie er aussieht? Das würde vieles leichter machen", bat Ambra mit einem entschuldigenden Lächeln. Die nächsten Tage würde sie sicher dazu kommen, sich umzuhören. Sie hatte immer ein bisschen Zeit. Und wenn sie zu dem Waisenhaus ging, konnte sie ja auch gleich noch ein paar alte Freunde besuchen, die in der Nähe wohnten.

Nun kramte ich in meiner Tasche herum bis ich ein zusammengeknülltes Papier gefunden hatte. Ich nahm es heraus und faltete es auseinander. "Das is eine Zeichnung von ihm", meinte ich und zeigte es Ambra. Das bild zeigte einen Jungen nicht viel älter als Kayo. Er hatte ein breites kantiges Kinn und kurze braune Haare. Im Gegensatz zu Kayo hatte er blaue Schuppen im Gesicht und hellblau leuchtende Augen.

Ambra starrte das Bild erstaunt an.
"Hast du das gemacht?", fragte sie begeistert. Sie hatte selten eine so schöne Zeichnung gesehen. Es schien so lebensecht zu sein...wenn sie mit irgendetwas diesen Jungen ausfindig machen könnte, dann wohl mit diesem Bild, fand sie.
Sie war direkt etwas neidisch. Sie hatte schon oft Ideen für Bilder gehabt - doch sie bekam sie nie aufs Papier! Wenn sie den Stift ansetzte, um die eleganten Linien, die sie vor Augen hatte, aufzumalen, musste sie feststellen, dass ihre künstlerischen Fähigkeiten mit ihrer Fantasie nicht mithalten konnten.
Die Kinder aus dem Waisenhaus konnten wahrscheinlich besser malen als sie.

Ich nickte und lächelte wieder etwas. Das Malen war eben meine Leidenschaft, natürlich war ich gut darin. "Kommt er dir vielleicht bekannt vor? Hast du ihn vielleicht irgendwann zufällig auf der Straße gesehen? Jede Information wäre hilfreich", fragte ich sie nun wieder verzweifelt. Nach einem Jahr auf der Suche, war ich mittlerweile etwas erschöpft und fast am aufgeben. Aber ich durfte nicht die Hoffnung verlieren. Und selbst wenn er tot wäre, würde ich wenigstens das wissen wollen.

Ambra betrachtete das Bild noch ein paar Augenblicke und schüttelte dann den Kopf.
"Tut mir leid, aber du bist der erste Fischmensch, den ich seit Jahren sehe....aber..." Sie runzelte die Stirn.
Hatte sie nicht vor einiger Zeit Leute reden hören, dass ein Junge mit merkwürdigem Hautleiden und strahlenden Augen in der Stadt gewesen war? Hätte das vielleicht Kuron sein können...?

Ich legte meinen Kopf auf den Tisch und jammerte verzweifelt. "Das war mir schon fast klar", sagte ich dann. "Und bei diesem aber weiß ich auch schon, was du damit meinst. Es ist nicht das erste Mal, dass ich so eine Antwort bekomme. Es wird so laufen: Natürlich werde ich dem Gerücht über den Typen mit einer komischen Hautkrankheit nachgehen. Ich werde ihn finden und merken, dass er wirklich nur krank war und dann werde ich panisch zum Arzt rennen, weil ich befürchte mich angesteckt zu haben. Genau so wird es laufen." Ich beendete die Geschichte mit einem langem Seufzer und setzte mich wieder normal hin, sodass ich Ambra wieder ansehen kann.

Ambra schüttelte den Kopf.
"Nein, im Ernst. Man sagte wirklich, er hätte Schuppen im Gesicht. Fischschuppen. Ich habe nur mit halbem Ohr zugehört, als einer unserer Stammgäste das erzählt hat - er redet viel wenn der Tag lang ist und wenn er betrunken ist noch mehr...aber...vor dem Hintergrund..."
Ambra verstummte.
"Du könntest ihn ja einfach selbst befragen. Er kommt nach wie vor jeden Abend hier her, um seiner griesgrämigen Frau zu entgehen."

Ich beugte mich über die Theke und drückte Ambra. "Danke, danke, danke. Du bist meine Heldin, wenn der Typ die Wahrheit gesagt hat!" Ich ließ sie nach kurzer Zeit wieder los und betrachtete dann wieder das Bild //Könnte das wirklich er sein?//

Ambra grinste.
"Kein Problem. Ich sorge dafür, dass der Kerl nüchtern bleibt, bis du mit ihm reden konntest. Wofür ist das Personal denn da?"
Sie wollte sich gar nicht vorstellen, wie es für Kayo war, nicht zu wissen, wo ihr Bruder war und ob er noch lebte - und sie musste es sich auch gar nicht erst vorstellen, immerhin lebte sie mit Dalaia zusammen, die immer mehr in ihre Depressionen abdriftete. Sie wollte nicht, dass dieses fröhliche Mädchen genauso leiden musste und wenn sie Dalaia schon nicht helfen konnte, dann wenigstens ihr.

"Das wäre total toll, danke dir", sagte ich nun. Ich war jetzt wieder aufgedreht und voller Tatendrang. "Ich hoffe das ist nicht zu viel verlangt."

"Nein gar nicht! Der Typ ist eh ein Raufbold, wenn er betrunken ist. Ich will ihn eh knapper halten. Da kommst du mir gerade recht.", erklärte sie und lachte über die Freunde des Fischmenschen. Wenn sie daran dachte, dass Jack nicht so erfreut sein würde, sie wieder zu sehen, wenn sie heute oder morgen vorbeikam, wurde ihre Freude wieder gedämpft.

"Das ist echt super", meinte ich grinsend. //Vielleicht bin ich ihm endlich mal einen Schritt näher...// dachte ich mir verträumt. Dann packte ich das Bild wieder in meine Tasche. Sie war Randvoll mit irgendwelchen Kram, von dem ich am Anfang meiner Reise gedacht hatte, dass ich es noch brauchen könnte. Manche Sachen hatte ich auch einfach nur mitgenommen, weil ich es wollte und nicht wegen seinem Nutzen, wie mein Malzeug.

Ambra lugte neugierig über die Bar.
"Falls du eine größere Tasche brauchst kann ich dir ´vielleicht etwas passendes besorgen", meinte sie hilfsbereit und lächelte verlegen, als ihr klar wurde, dass sie damit ihre eigene Neugierde verriet.
Doch sie war nunmal neugierg und sie half auch gerne, wenn sie irgendwie konnte. Diese beiden Eigenschaften waren wahrscheinlich keine gute Kombination...aber sie konnte es ja doch nicht ändern.

"Nein danke", meinte ich dann lächelnd "Ich reise jetzt shon so lange und sie hat die ganze Zeit lang gereicht."

Ambra nickte lächelnd.
"Naja...falls du sie wenigstens mal nachbessern lassen willst...eine gute Freundin von mir ist Näherin. Sie würde das innerhalb eines Tages für dich erledigen und sicher auch nicht viel verlangen. Also nur, für den Fall, dass du deine Meinung noch änderst."
Nun verstummte sie und sah durch den Raum. Sie sah dort Elben und Zwerge an einem Tisch sitzen, sah ein paar Greife mit Menschen Karten spielen...sah sogar ein paar Feen, die Schnapsgläser statt echten Gläsern nutzen und sich leise unterhielten. Ja, hier in der Neutralen Zone wurden die ganzen Vorurteile nicht so ernst genommen....man würde hier nicht meinen, dass die Gerüchte, die man von den Reisenden hörte, wirklich stimmen konnten...doch Dalaia schien davon berunruhig zu sein. Sogar sehr. Das, was Ambra als 'Geschwätz von betrunkenen Tölpeln' abtat schien in ihren Augen unheilvoll zu sein...dabei konnte Ambra nicht verstehen, was sie hatte. Es gab doch das Bündnis und den Rat für solche Fälle. Dort würde das alles geklärt werden, die Probleme würden gelöst und dann wäre alles wieder zu wie vorher. Es würde sich doch ohnehin nichts verändern. Sie seufzte. Vermutlich kam diese düstere Stimmung nur davon, dass sie Kemyles vermisste und nicht von irgendwelchen tatsächlichen Ereignissen. Wenn er nur bald zurückkam würde ihre Laune sich auch wieder aufhellen und sie würde  mit Ambra zusammen über die abenteuerlichen Geschichten lachen, daran glaubte die Kellnerin fest.

Anscheinend machte sich die Kellnerin über irgendwas ziemlich viele Gedanken. Aber ich fand, dass es besser war sie nicht zu fragen, immerhin war ich eine Fremde für sie und da erzählt man sich nicht seine Sorgen. "Mal sehen, vielleicht gehe ich ja auf das Angebot ein, aber nicht heute", meinte ich grinsend "Heute muss ich erstmal sehen, dass ich eine Stadtkarte kriege."

"Hmm...die Stadtpläne sind ziemlich kompliziert....aber wenn du wirklich einen willst könnte ich nachsehen, ob wir noch welche auf Lager haben", sagte Ambra, als sie aus ihren Gedanken in die Realität zurückkehrte.

"Naja entweder ich versuche die Stadtpläne zu verstehen, oder ich irre weiter in den Gassen umher", meinte ich lachend "Da entscheide ich mich lieber für die sicherere Variante."

Ambra zuckte mit den Schultern und grinste breit.
"Ich schau, was sich machen lässt, wenn es hier ein bisschen ruhiger geworden ist, ok? Die Mittagspausen dieser Typen können ja nicht ewig dauern."

"hast recht. Das ist schon besser"; antwortete ich.

Ambra lächelte noch einmal und begann dann damit, durch die Reihen zu gehen, die letzten Bestellungen aufzunehmen, Geschirr abzuräumen und Geld zu kassieren. Ab und an wurden ihr kurze Fragen gestellt: Wer würde heute Abend auftreten? Wann gab es endlich wieder den köstlichen Zwergenschnaps, dessen Lieferung sich nun schon um eine Woche verspätet hatte? Welches Essensangebot würde es am Abend geben? Und natürlich das übliche: Was musste man tun, um die hübsche Kellnerin nach Èinbruch der Dunkelheit in seiner Kammer treffen zu dürfen?
Die letzte Frage beantwortete sie, wie sonst auch, mit einem kecken Zwinkern und ging dann lächelnd davon, die Antwort noch immer schuldig.

Kayo drehte sich nun von der Bar weg und sah sich im Raum um. Es war nicht so, dass man es als voll hätte bezeichnen könne, doch das Wirtshaus war gut besucht. Sie hörte bei einigen Gesprächen mit. Ein Mann, der über seine Frau schimpfte, weil sie wohl fremdgegangen ist. Das übliche Gesprächsthema, die Unruhen, auch wenn ich immer noch nicht wusste, was sie damit wohl meinten. Auf meiner Reise war es bisher immer ruhig gewesen. Und hier und da Eltern die über ihre Kinder und Angestellte, die über ihre Arbeit schimpften. Es war wirklich nichts interessantes dabei. Irgendwie überraschte es mich nicht sonderlich, enttäuschend war es trotzdem.

Bald hatte Ambra ihre erste Runde durch und setzte zur zweiten Runde an. Leute, die eben bestellt hatten, sollten nun ihr Essen kriegen, Leute, die ihr Essen eben bekommen hatten, sollten es nun bezahlen.
Es war immer dasselbe, doch die Nähe zu anderen war Ambra so lieb, dass sie sich nie im Leben darüber beklagt hätte. Wenn nur alles so blieb wie es war...oder...wenn es fast genauso bliebe.
Ambra müsste lügen, wenn sie behaupten wollte, dass sie sich nicht einen Mann im Leben wünschte...doch die, die sie im Wirtshaus kennen lernte, waren ihre Kunden. Sie konnte mit keinem von ihnen etwas anfangen, denn für jeden Einzelnen wäre sie nichts weiter als eine Maitresse - und dafür war sie letztlich doch zu stolz.

Nachdem ich nichts interessantes von den Gästen hörte kramte ich wieder das Bild meines Bruders aus der Tasche und starrte es an. //Wo bist du nur?// fragte ich ihn in Gedanken und hoffte, dass er rgendwann mal darauf antworten würde. Wenn er noch lebte, wollte ich ihn wenigstens mal sehen um auch zu wissen, dass es ihm dort, wo er nun ist, gut geht. Wenn er tot war wollte ich auch das wissen. Immerhin müsste ich dann nicht mehr suchen.

Nach einiger Zeit hatte Ambra es geschafft und die meisten Gäste waren gegangen. Also ging sie los und suchte im hinteren Teil der Wirtschaft nach einer Karte. Sie war sich sicher, erst vor wenigen Wochen noch welche gesehen zu haben...nur wo? Sie hatte sie doch nicht weggeworfen..?
Nein. Daran würde sie sich erinnern. Sie mussten noch irgendwo hier sein...