Schankraum

cf Zimmer
Ich ging die Treppe hinunter und stand gleich im Tumult. Es war zwar noch nicht so spät aber schon sehr viel los. Ich setzte mich wieder an die Bar und wartete dort auf Ambra, die mir dann vielleicht sagen konnte, wer dieser Gast war.

Ambra zuckte mit den Schultern.
"Sollte sich das ändern, ruft mich einfach."
Dann ging sie - denn sie hatte gesehen, dass nun Kayo da war.
Auf dem Weg tippte sie Tev auf die Schulter und bedeutete ihm, ihr zu folgen, während seine bereits angetrunkenen Saufkumpanen ihnen hinterherpfiffen, unanständige Witze rissen und in Ambra den Wunsch nach einer Bratpfanne auslösten.
Sie stellte sich sofort hinter die Bar und wies Tev an, sich neben das Fischmenschenmädchen zu setzten.
"Tev, das ist Kayo, das mÄdchen von dem ich dir erzählt habe. Kayo, das ist unser lieber Geschichtenerzähler Tev."
Der Bauer nickte dem Mädchen zu, musterte sie aber mit unverhohlenem Erstaunen, unfähig, etwas zu sagen.
Ein sprachloser Tev...dieser Tag hat etwas für sich.

Ich war überrascht als Ambra auf einmal zusammen mit diesem Mann aufgetaucht ist. "Hallo", begrüßte ich die beiden mit einem breiten Grinsen und hob dabei auch die Hand.
Ich sah, dass der Mann anscheinend nicht jeden Tag zu Gesicht bekam aber dann beachtete ich es auch nicht weiter. Ich hatte lediglich das Bild meines Bruders mitgenommen und breitete es nun auf dem Tisch aus. Ich war plötzlich ganz aufgeregt wie jedes Mal, wenn ich an einer Spur dran war, allerdings war danach die Enttäuschung meist umso größer. "Ambra hat gesagt, du hättest mal erzählt, dass du diesen Mann gesehen hast. Stimmt das denn?", fragte ich sofort. Ich war niemand, der erst lang um den heißen Brei redete. Während ich auf eine Antwort seinerseits wartete starrte ich ihn hoffnungsvoll an.

Tev schien einen Moment zu brauchen, um mit der Situation fertig zu werden, doch dann zog er das Bild näher zu sich.
"Hmm...nein. Nein, aber ich glaube ich habe den großen Bruder von dem Jungen auf dem Bild gesehen...vielleicht war es auch der Vater. Oder ist das Bild schon sehr alt?"

"ja das Bild ist schon etwas älter", antwortete ich enttäuscht //Ich brauche ein neues// dachte ich mir entschlossen, obwohl ich genau wusste, dass es nicht klappen wird. "Aber du hast ihn gesehen, oder jemanden, der ziemlich ähnlich aussah zumindest?", hakte ich dann noch mal nach.

Tev sah noch einmal ganz genau hin.
"Wenn das Bild wirklich schon älter ist...dann habe ich vielleicht wirklich IHN gesehen...er hatte jedenfalls genau dieselben Augen  und die Nase....und nicht zu vergessen die Schuppen. Das alles ist fast genauso wie auf deinem Bildchen hier."

Meine Augen Funkelten regelrecht vor Freude. Aber dann traf mich wieder die harte Realität. //Ich muss ihn trotzdem noch finden...das ist nur ein kleiner Schritt zum Ziel// "Und wo hattest du ihn gesehen? Sah er gesund aus? Wie lange ist das her?"

"Hmm....lass mich nachdenken..." Tev kratzte sein Kinn, während er sein Säuferhirn nach Informationen absuchte. "Ist vielleicht drei oder vier Wochen her, dass ich den Kerl auf einem Marktplatz, nicht weit von hier gesehen hab, schien unversehrt zu sein. Aber ich kenn mich nicht mit den Fischgesichtern nicht aus. 'tschuldige den Ausdruck. Hab nicht mit ihm gesprochen. Nach ner Weile ist er gegangen...hat vorher noch ein paar Kartoffeln bei mir gekauft und weg war er."

"Das heißt er lebt noch!", schrie ich vor Freude. Ich drückte den alten Mann "danke, danke, danke. Dank dir habe ich nun eine Sorge weniger!" Aber ich ließ ihn schnell wieder los. Ich wusste zwar, dass es die meisten Menschen nicht mögen, wenn Fremde sie umarmen...Aber ich war einfach so glücklich.
Ich glaubte nicht, dass mein Bruder, auch wenn es jetzt schon drei oder vier Wochen her ist, mittlerweile tot war, wenn er doch die letzen Monate auch überlebt hat.
Wegen meines plötzlichen und ziemlich lauten Freudenausbruchs, wurde ich von ziemlich vielen im Raum angestarrt, aber das kümmerte mich nicht. //Er lebt noch// Ich hätte losweinen können vor Freude, aber ich konnte mich zurückhalten. //Eine Kriegerin aus dem Meer weint nicht, egal aus welchen Grund!//

"Gibt's hier was zu sehen?", fragte Ambra mit erhobener Stimme, woraufhin die Blicke wieder zu den eigenen Tischnachbarn und Krügen wanderten.
Tev lächelte inzwischen nur. Er war ja eigentlich recht nett.
"Ich hab zu danken. Dank dir trinken meine Freunde und ich heute für umstonst!"
Er stand auf und machte noch eine kleine Verbeugung vor Kayo. "Wenn ich noch irgendwie helfen kann, meld dich! Und Kellnerin! Eine Runde Met!"
Damit ging er wieder zu seinen Freunden.
Ambra verdrehte hinter seinem Rücken die Augen und gab die Bestellung in die Küche weiter.

Ich konnte nun nicht mehr viel sagen. Es war auch nichts mehr, was es zu sagen gab. Ich war einfach glücklich und das konnte man denk ich gut an meinem Gesicht erkennen, also wozu noch etwas sagen. Allerdings hatte ich jetzt ein kleines Problem. Ich wusste zwar, dass er noch lebte, was ich aber nicht wusste war, wo er lebte oder, ob er überhaupt noch in dieser Stadt wohnte. Das würde wohl lange dauern, wirklich alles zu überprüfen, da diese Stadt sehr groß war. Aber ich hatte genug Zeit, wo ich nun wusste, dass es ihm gut ging. Heute Abend, wollte ich das alles aber erstmal auf sich beruhen lassen und einfach nur glücklich sein. Sorgen konnte ich mir noch wann anders machen.

Ambra hatte die Miene des Fischmenschen aufmerksam beobachtet und lächelte nun aufmunternd.
"Also, darf ich dir irgendwas bringen? Essen? Trinken? So eine Nachricht muss immerhin gebührend gefeiert werden!"
Ambra hatte keine Geschwister, hatte nie ganz verstanden, wie das Verhältnis zwischen ihnen war. Sie schienen einerseits enger miteinander verbunden als die besten Freunde und andererseits stritten sie öfter, als Freunde es taten. Man konnte sicher sagen, dass Ambra ein gutes Einfühlungsvermögen besaß...aber das überstieg nunmal ihre Vorstellungskraft bei weitem - etwas, was sie auch gerne zugab.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit nun wieder auf Ambra. "Eine von diesen Keulen wären jetzt echt super, die haben so lecker geschmeckt." In meinen Gedanken erschien ein Bild davon und auch der Geschmack und der Geruch waren wieder da. Mir lief nur beim dran denken das Wasser im Mund zusammen "Und etwas Wasser", fügte ich lächelnd hinzu, als ich mich wieder auf die Realität konzentrieren konnte.

Ambra grinste breit und gab die Bestellung sofort weiter. Obwohl heute Abend relativ viel los war, machte sie sich keine große Mühe. Sollten die Leute sich ruhig beschweren, das spielte ihr nur in die Karten.
Nach wenigen Minuten wurden ihr sowohl die Keule als auch Wasser durchgereicht und sie plazierte beides vor ihrem Gast.
"Guten Appetit!", wünschte sie ihr mit einem aufrichtigen Lächeln und bediente etwas halbherzig einen anderen Kunden.

"Danke", sagte ich grinsend und machte mich sofort über das Essen her.

Ambra lächelte und als sie mit ein paar anderen Kunden fertig war - es schadete nicht, ein kleines bisschen Fleiß zu zeigen - wandte sie sich wieder an Kayo, beobachtete sie eine Weile schweigend beim essen und sagte schließlich:
"Ist das Leben in deiner Heimat sehr anders als hier?"

"Irgendwie schon", meinte ich nachdenklich als ich eine Pause einlegte um zu erzählen. "Aber hier ist das Essen tausend mal besser!"

Ambras Lächeln wurde nur noch breiter.
"Freut mich, dass es dir so schmeckt! Meine Mutter wird sich freuen. Sie und ihre Lehrlinge geben sich alle Mühe!"

"Eine wirklich gute Köchin, deine Mutter", sagte ich dann grinsend.

Ambra lachte.
"Ich weiß! Wir hatten schonmal eine Witwe hier zu Gast, die seit einem Jahr nicht gelächelt hatte - erst, als sie den Nachtisch meiner Mutter aß, erinnerten sich ihre Lippen wieder daran, wie man lächelte." Sie zwinkerte dem Gast zu.
DIese Geschichte war natürlich, wie fast jede Geschichte, die in diesem Wirtshaus erzählt wurde, ein bisschen übertrieben. Aber es schadete kaum Werbung zu machen und die Geschichte kannte man im ganzen Dorf.

Ich nahm noch einen Bissen. "Na das ist doch mal ne feine Sache", sagte ich dann lachend. "Ich glaube ich sollte nicht zu lange hier bleiben. Ich werde noch Arm und dick bei dem ganzen leckeren Essen. Da will man gar nicht mehr aufhören."

"Ich muss jetzt erstmal herausfinden, ob er noch hier ist", antwortete ich nachdenklich und lenkte dann von meines Bruder ab "Außerdem habe ich bisher immer genug bekommen, also sollte das kein Problem sein."

"Wie lange läufst du denn schon hier oben rum?", erkundigte Ambra sich nun.

Ich legte den nun leeren Teller beiseite und überlegte kurz. "An Land bin ich jetzt seit drei Monaten. Das ist die erste größere Stadt in die ich gekommen bin", erklärte ich lächelnd.