Dalaia's Anwesen

"Wie du meins", stimmte Liloé ihr zu und landete auf der Fensterbank. "Es stört dich doch nicht, wenn ich hier übernachte?", fragte sie, erwartete jedoch eigentlich keine Antwort. Sie würde früh wach sein und noch mit Dalaia reden können, bevor diese abreiste, also machte sie sich keine Gedanken mehr darüber und schlief ein, noch bevor sie ihr eine Gute Nacht wünschen konnte.

Dalaia lächelte die Pixie sanft an. Soe war froh, dass sie Liloé kennen gelernt und als Freundin gewonnen hatte. Nicht unbedingt wegen der Informationen...die hätte sie sich notfalls wohl auch anders beschaffen können, doch sie mochte die Pixies einfach - und wirklich nur die Pixies, denn Fairies....sie kannte sie kaum, doch ihr König wirkte auf Dalaia nicht gerade sympathisch. Die kleinen Feen sprühten vor Lebensenergie.
Sanft hob Dalaia die Pixie vom Fensterbrett und nahm sie mit in ihr Zimmer. Dort legte sie sie vorsichtig auf einen gepolsterzen Hocker, stellte diesen in die Nähe des Kamins, der noch vor sich hinglühte , und legte sich dann selbst ins Bett.
Obwohl sie eigentlich noch nachdenken hatte wollen, war sie nach diesem langen Tag doch zu erschöpft und schlief ein, kaum, dass ihr Kopf das Kissen berührt hatte.

Liloé schlief fast zweieinhalb Stunden - für eine Pixie war das verhältnismäßig lange. Trotzdem wachte sie dementsprechend mitten in der Nacht auf, und zwar in einem Raum, den sie noch nie zuvor gesehen hatte. Das war zwar zuerst irritierend, doch als ihr Blick auf Dalaia fiel, erinnerte sie sich daran, dass sie sich in deren Haus befand - das sie noch nicht erkundet hatte. Selbst wenn ihre Freundin und deren Begleiter Frühaufsteher waren, hatte sie noch mindestens drei, vier Stunden Zeit, in der sie sich einmal umsehen konnte, und das tat sie - und zwar gründlich. Nach dieser Zeit kehrte sie wieder in Dalaias Zimmer zurück und wartete auf dem Kamin sitzend darauf, dass die Greifin aufwachte.

Dalaia schlief erstaunlich ruhig, wenn auch nicht traumlos:
Sie tanzte mitten im königlichen Ballsaal von Turenya. Eingehüllt in teure, smaragdgrüne Seide, behängt wie ein Festbaum und in schrecklich hohen Schuhen ließ sie sich von ihrem Tanzpartner über die Tanzfläche führen - denn sie beide sollten den Eröffnungstanz tanzen.
Über die Schulter des Tänzers sah sie ihren Vater und ihre Mutter, die sich bei den Händen hielten und ihrer Tochter voll Stolz zusahen, während Dalaias Zwillingsschwester ein scheinbar witztiges Gespräch mit Nion und einem jungen Edelmann.
Plötzlich spürte sie, wie der Brustkorb ihres Tanzpartners zu vibrieren begann, als er lachte.
"Du bist mit den Gedanken mal wieder überall!", bemerkte er leise und hätte er nicht gelacht, hätte Dalaia ihm vielleicht auch geglaubt, dass er ihr böse war. "Was muss ich tun, damit du mal über mich nachdenkst?"
Dalaia hob den Blick und lachte ihn an. Seine langen weißblonden Haare umrahmten seine freundlich blitztenden Augen. "Ich denke immer an dich...rund um die Uhr. Bald ertrag ich's nicht mehr."
Ihre Stimme war leise, doch kaum, dass sie gesprochen hatte, verstummte mit einem Mal die festlichen Musik.
"Dalaia...was hast du denn?", fragte Kemyles nun, als er sah, dass Dalaia Tränen in den Augen hatte. "Du solltest dich freuen - heute ist doch dein Geburtstag!"
Dalaia seufzte. "Nein...das hier ist die Erinnerung an einen Geburtstag. An meinen 20. Geburtstag. Und es war wirklich wunderschön. Es wäre noch schöner, wenn du endlich zu mir zurückkommen würdest."
Kemyles antwortete nicht. Als hätte sie ein magisches Wort gesprochen, löste sich alles um sie herum langsam auf, erst die Festgesellschaft, die Musikanten, der Saal, ihre Familie...schließlich auch Kemyles.
Dalaia fand sich in ihrem breiten Himmelbett wieder, trocknete mit einer schnellen Handbewegung, die schon zu ihrer Gewohnheit gehörte, ihre Augen und Wangen, ehe sie den Blick hob und Liloé anlächelte.
"Guten Morgen, hast du gut geschlafen?", fragte sie.

"Ja. Hast du geweint? Gibs zu, ich hab dich beobachtet...wieso? Hast du schlecht geträumt? Von Katzen? Ich hab auch manchmal Träume von Katzen...die sind echt fürchterlich. Gehts dir wieder besser? Wohin reist ihr denn jetzt eigentlich?" Dass es früher Morgen war, hinderte sie offensichtlich nicht daran, vor sich hin zu plappern.

Dalaia runzelte die Stirn.
"Ich mag Katzen!", stellte sie mit indignierter Stimme fest und stand auf, schnappte sich ihren Morgenmantel und hüllte sich in ihn. Ihre Haare waren vollkommen zerzaust und sie sah nicht allzu fit aus, aber das machte ihr nichts aus.
"Komm, wir sollten frühstücken gehen. Das heißt, ICH sollte frühstücken gehen, aber du kannst gerne mitkommen, wenn du möchtest. Dann könnten wir uns auch noch ein bisschen unterhalten."
Mit einer stummen Einladung, schob sie sich ihre langen, blonden Locken von einer ihrer beiden Schultern und lächelte freundlich.

Liloé ließ sich auf ihrer Schulter nieder und fragte verständnislos: "Wie kannst du Katzen mögen?! Sie sind schrecklich! Meiner Großtante Mila wurden von einer Katze die Flügel zerfetzt...sie konnte seitdem nicht mehr fliegen, und es gibt nur ziemlich weniges, das schlimmer ist, als nicht fliegen zu können, zumindest für Feen. Außnahmsweise sogar für Fairys. Was gibt es denn zu frühstück? Habt ihr Beeren da?"

"Ja, ich wir haben einen kleinen Vorrat, weil Xea heute Marmelade machen wollte. Du kommst gerade rechtzeitig. Du kriegst was immer du willst", versprach Dalaia lächelnd und dachte dann über das, was die Pixie noch gesagt hatte nach. "Hm...das kann ich verstehen...für Greife ist es auch nicht besonders toll, nicht Fliegen zu können. Vermutlich nicht so schlimm wie für Feen, aber immer noch nicht lustig...aber Katzen tun sich ziemlich schwer damit, unsere Flügel zu beschädigen. Selbst die großen Katzen. Wir halten sie als Haustiere, kuscheln und spielen mit ihnen. Haben Feen eigentlich auch Haustiere?"
Sie hatte sich das nie zuvor gefragt, aber wo sie jetzt so darüber nachdachte, wurde ihr klar, dass das doch sehr gut sein könnte.

"Haustiere? Heißt das, sie leben hier im HAUS?!" Erschrocken rutschte Liloé ein Stück näher zu Dalaias Hals und sah sich beunruhigt um. "Wieso?! Wir haben sowas nicht - Tiere sind wild, sie sollten frei leben. Außerdem sind unsere Häuser zu klein und SELBST WENN wir Tiere halten würden, wären es keine KATZEN!"

Ich habe zwar kaum geschlafen, war jedoch vollkommen ausgeruht und konnte bereits jetzt losgehen. Shin hingehen schlief immer noch tief und fest, während ich auf der Fensterbank saß und ihn beobachtete. Schließlich beschloss ich, dass es Zeit war ihn zu wecken und essen zu gehen, denn bald würden wir aufbrechen. Ich sprang also leise von der Fensterbank und schüttelte ihn dann sanft an der Schulter. Nach einigen Protesten seinerseits, die jedoch völlig nutzlos waren, stand er verschlafen auf, zog sich um und dann gingen wir hinunter in das Esszimmer.

"ICH habe keine Haustiere...Tiere dürfen hier zwar rein, wenn sie wollen...aber ich halte keine. Dass seh ich gar nicht ein. Wieso ein Tier versorgen, dass von Natur aus dazu in der Lage ist, das selbst zu tun?"
Die Greifin setzte sich ins Esszimmer und wies Xea an, ein Frühstück für Liloé zusammenzustellen.

"Ohhhh....sehr gut. Also keine Tiere. Zumindest nicht immer. Sehr gut." Die Pixie entspannte sich wieder und ließ die Beine baumeln. "Und was für Tiere hab ihr so als Hautiere? NUR Katzen? Oder auch sowas wie...Käfer und Schmetterlinge und Wölfe?"

Als wir im Esszimmer ankamen, waren Dalaia und Liloé bereits dort. "Guten Morgen, ihr Beiden", begrüßte ich sie lächelnd. Shin nickte nur verschlafen.

Dalaia nickte nur kurz und lächelte.
"Nein,nein....eher Vögel und Hunde."

"Guten Morgen! Sind Hunde diese kleinen Wölfe, die in den Städten leben? Die sind nett. Zumindest netter als Katzen. Oder Wölfe. Oder Vögel! Die sind auch gemein. Und sie haben schrecklich spitze Schnäbel! Aber wenn man einen Vogel zähmt, kann man ihn reiten, das ist ziemlich praktisch für längere Reisen...", meinte sie nachdenklich. "Ich hätte mir einen Vogel fangen sollen..."

Ambra stand früh am Morgen auf. Die Sonne stand noch nicht am Himmel, wie sie bei einem Blick aus dem Fenster, feststellte. Einerseits erwog sie, weiterzuschlafen. Andererseits dachte sie daran, wie das Wirtshaus wohl aussehen musste...
Mit einem Seufzen stand sie auf, zog sich eine weite, schwarze Leinenhose und eine Weise Bluse an und schlich sich dann leise aus dem Haus - Ambra wollte weder Dalaia noch ihre Gäste aufwecken.

gt: Wirtshaus "Zum tanzenden Greif", Schankraum

"Menschen halten sich kleine Singvögel, nur, um ihnen zuzuhören und...um nicht so alleine zu sein", erklärte Dalaia und fragte sich unwillkürlich, ob sie sich eventuell einen Vogel kaufen sollte...entschied sich aber sofort dagegen. Tiere sollten in der Wildnis leben. Sie wollte kein Tier, dem die Freiheit und somit der Charakter genommen worden ist. Was wollte sie schon mit einem Singvogel? Sie konnte sich einfach Sänger aus Caras holen, und sich ein Hauskonzert geben lassen, wenn sie wollte.

"Das versteh ich nicht. Singt ihr nicht selber? Und wieso holt man sich einen Vogel als Gesellschaft? Sie können nicht reden...das ist doch langweilig....", wandte die Pixie verständnislos ein.

Dalaia zuckte mit den Schultern. "Keine Ahnung. Ich hab keine Vögel. Das sah ich gar nicht ein....wenn sie nicht frei durch die Natur fliegen können, find ich keinen Gefallen an ihnen. Wahrscheinlich...liegt es daran, dass sie teuer sind. Luxusgüter. Man will zeigen, wie gut es einem geht."

"Zeigt es nicht eher,dass man verschwenderisch ist und sein Geld für unnötige Dinge ausgibt, die einem eigentlich nichts nutzen?, entgegnete Liloé skeptisch. "Wenn man zeigen will, wie gut es einem geht, besorgt man sich doch eher ein großes Haus oder gutes Essen oder ein bequemes Bett oder sowas in der Art..."

Ich beschloss mich nicht in ihr Gespräch einzumischen. Ich bastelte mir meine Vögel selbst, also war ich weder ein Tierquäler noch jemand, der sein Geld verschwendet. Shin setzte sich an den Tisch, legte seinen Kopf auf seine Arme und schien weiter zu schlafen. Auch ich setzte mich an den Tisch und hörte dem Gespräch weiterhin zu.

Das Gespräch wurde kurz unterbrochen, als Xea und Sota reinkamen, um unser Essen zu bringen, doch als alle versorgt waren und die beiden den Raum wieder leise tuschelnd verließen - sie waren schon verwundert über den Besuch von Kaito und Shin gewesen und nun kam auch noch eine Pixie hinzu! - antwortete Dalaia schmunzelnd:
"In den Kreisen, in denen so geprahlt wird, ist ein großes Haus Vorraussetzung, ebenso wie gutes Essen." Das Lächeln der Greinfin wurde etwas verschmitzter. "Und nunja...es schickt sich nicht, fremde Leute in sein Gemach zu lassen. Weder Männer noch Frauen. Nur der Bewohner und sein Personal sollten Zutritt haben. Also offiziell." Sie verdrehte die Augen, als sie an die vielen leidigen Gespräche über die höfischen Intrigen dachte, die sie zu führen gezwungen gewesen war, als sie noch jünger war. "Jedenfalls..es ist eine Geldverschwendung. Doch dadurch, dass man zeigt, dass man es sich leisten kann, Geld zu verschwenden...dadurch zeigt man, wie man finanziell steht. Abgesehen davon langweilen sich Adelige leicht."

"Ich werde eure Gesellschaft nie verstehen", meinte die Pixie kopfschüttelnd und schnappte sich eine kleine Beere zum Frühstück. Sie nahm sich vor, still zu sein, denn ihre Erfahrungen hatten gezeigt, dass sie leicht vergessen wurde, wenn sie mal leise war - und so konnte sie wiederrum ganz interessante Sachen aufschnappen.

"Ich versteh unsere Gesellschaft auch nicht immer", meinte ich grinsend.

Dalaia stützte den Kopf auf eine Hand auf und aß appetitlos ihr Frühstück.
Es war absolut köstlich.
Ihr Stuhl war absolut bequem.
Die Temperatur im Speisesaal war weder zu kühl noch zu warm.
Alles war perfekt.
Und Perfektion erinnerte sie auf unangenehme Weise an die Königshäuser dieser Welt. Dort sollte immer alles perfekt sein - je nach der Definition von Perfektion, die im jeweiligen Reich galt.
Dalaia hatte das nicht immer sinnlos gefunden...es hatte Zeiten gegeben, in denen sie es genossen hatte, dass alles hervorragend zusammen passte, dass sie sich um nichts zu sorgen hatte, dass sie ihre Ruhe hatte...doch nun...
Was war denn Perfektion? In ihren Augen war es eine Lüge. So etwas wie Perfektion gab es nicht, konnte es nicht. Zumindest keine abolsute Perfektion.
Wieso sollte man es also versuchen?
Ihr eigenes Haus war das beste Beispiel. Für einen Greif war es ein Traum. Es war architektonisch genauso wie die edlen Häuser in Turenya.
Doch für eine Pixie wäre es alles andere als Perfekt gewesen - sie käme sich hier verloren und der Natur entfremdet vor.
Ein Zwerg könnte ohne Schmiede oder Gestein nicht leben.
Elben würden sich nur von dem Wald ringsum besänftigen lassen können.
Naturgeister würden nie in einem Haus leben
Und Menschen...nun, Menschen war die große Ausnahme. Menschen konnten sich anpassen. Sie hatten Grundbedürfnisse und waren glücklich, solange diese erfüllt wurden. Wenn sie glücklich waren, konnten sie mit nahezu jedem Umstand zurecht kommen.
Manchmal glaubte, dass das die wahre Stärke der Menschen sein könnte. Die Anpassungsfähigkeit.
Wie sonst hätten sie mit so übermächtigen Nachbarn überleben können?
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, beendete Dalaia ihr Frühstück und sah von ihrem Teller auf. Es war möglich, dass irgendwer sie angesprochen hatte und sie es nicht bemerkt hatte, doch das scherte sie derzeit nicht wirklich.
"Ich mach mich fertig. In einer halben Stunde werde ich abreisebereit sein - unsere Sachen wurden bereits gepackt und die Pfere sind auch bald so weit. Es wäre schön, wenn ihr euch auch beeilen würdet", informierte Dalaia die Jungs und wandte sich dann an Liloé. "Tut mir leid, ich hab jetzt wohl keine Zeit mehr für Gespräche mit dir...vielleicht können wir ja nach meiner Rückkehr noch etwas reden...aber in jedem Fall hoffe ich, dass du noch viel Spaß in Caras hast und, dass es dir gut ergehen wird, falls das das Letzte Mal ist, dass wir uns wiedersehen."
Sie lächelte ihrer kleinen Freundin kurz zu und ging dann rasch aus dem Raum. Sie hatte Abschiede noch nie leiden können.
Was Kemyles Abreise ohne Vorwarnung immer noch nicht entschuldigte.